Unser Gehirn ist ohne jede Frage das großartigste und komplexeste Gebilde, was die Evolution hervorgebracht hat. Es besteht u.a. aus 100 Milliarden Neuronen und jedes Neuron hat bis zu 10.000 Synapsen. Phantastisch! Und unser Gehirn ist in der Lage, so manchen Schlag zu verkraften. Es kann bis ins hohe Alter hinein lernen – es dauert vielleicht länger als in jungen Jahren, aber es ist machbar. Über das Machbare unserer Gehirns habe ich eine schöne Geschichte in der Zeitung gelesen: Vor ein paar Jahren wurde der Fall eines Franzosen bekannt, in dessen Kopf nur etwa die Hälfte der üblichen Hirnmasse zu finden war. Der Mann ist verheiratet und Vater zweier Kinder. Er übt einen Beruf aus. Nun raten Sie mal wo!? Er ist Beamter in einer Steuerbehörde. (Ich finde, das sagt doch alles!)
Nun ist das Gehirn von ADHS-Patienten seit einigen Jahren das Lieblingsforschungsgebiet mancher Neurologen. Und mit den neuen, sogenannten „Bildgebenden Verfahren“ kann man im Gehirn jetzt noch schöner gucken, was man sowieso sehen könnte, wenn man das Verhalten der Patienten nur lange genug beobachten würde. Unzweifelhaft weist das Hirn von Menschen mit ADHS spezifische Veränderungen auf. Bereits 1996 konnten Wissenschaftler offenkundige Veränderungen im Gehirn von ADHS Patienten nachweisen können – so z.B. 4,7% weniger Volumen (Castellanos u.a., 1996).
Da sagen jetzt einige, wissen wir schon, das Gehirn ist ja bei Frauen leichter. Also: Problem geklärt. Nein, das sind nicht die Prozente, die fehlen. Die Großhirnrinde ist dünner. Aber hier sei gewarnt: Dünner heißt nicht dümmer. Hier geht es ja nicht um Germany´s Next Top Model.
Das weniger ist im Kortex zu finden: also in der Rinde, genauer gesagt in der Großhirnrinde – das ist der Teil im Hirn, der für all die schönen höheren Funktionen zuständig ist (Bücher lesen, Bücher schreiben, Steuererklärung machen, etc.). Die Rinde macht ungefähr die Hälfte unseres Großhirns aus. Die Evolution hat da ein kleines Wunder vollbracht: Je mehr Oberfläche unser Hirn hat, desto „schlauer“ werden wir als Spezies Mensch. Jetzt nicht jeder einzelne von uns, freuen Sie sich nicht zu früh. Es wäre natürlich einfacher gewesen, wir hätten alle Köpfe groß wie Wassermelonen, aber dann wären wir ausgestorben, denn versuchen Sie mal eine kleine Wassermelone durch Ihr Becken zu kriegen. Geht nicht. Gibt´s! (Ich bin mir sicher, es wird etwas dauern, bis Sie das Bild von dem Becken und der Melone wieder losgeworden sind …!)
Also musste was her, dass den Platzmangel wett macht: Falten! Einfaches Prinzip: Man kann problemlos ein Geschirrhandtuch in ein kleines Weinglas stecken, wenn man es einfach irgendwie reindrückt. So ähnlich ist es mit dem Hirn im Kopf. Wenn der Schädel nicht wachsen kann, muss die Evolution eben erfinderisch werden. Ähnliches können Sie auch zu Hause nach empfinden: Schauen Sie in den Kleiderschrank Ihrer Tochter: Alles reingeknuddelt. Geht problemlos das Doppelte rein, als wenn es sauber gefaltet auf- und nebeneinander läge. Also nicht mehr meckern, weil es so unordentlich ist: Freuen Sie sich – das ist ein evolutionärer Prozess, der da stattfindet.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist eine Erkenntnis einer spanisch-amerikanischen Forscher Gruppe (Proal u.a., 2011): Die haben ehemalige ADHS Patienten in die Röhre gesteckt und mit „normalen“ Leuten verglichen. Ergebnis: Zwischen den beiden gab es auffällige Unterschiede. Erstaunlich jedoch war es, dass jene Patienten, die früher unter Symptomen litten und nun keine Symptome mehr zeigten, ein nachträgliches Hirnwachstum aufwiesen, die haben das erfolgreich den Mangel kompensiert. Das Hirn hatte es also geschafft, das Defizit wenn auch nicht auszugleichen so doch wenigstens aufzufangen. Anders ausgedrückt: Das Hirn ist ein Haus und ADHS ist der Dachschaden darin; und jene, die keine Symptome mehr hatten, konnten in den Dachschaden eine Gaube einbauen. – Wieso und warum, konnten die Forscher nicht sagen. Wenn Sie das rausfinden, gibt´s nen Nobelpreis – versprochen!
Übrigens ist das Gehirn von Frauen in der Regel leichter, aber eben mehr gefaltet. – Das ist einer der wenigen Momente, in denen sich Frauen – auch Heidi Klum – über Falten freuen können!
Für den ADHS-Leser:
Einen evolutionären Geniestreich stellt unser Gehirn dar. Bei ADHSlern gibt es allerdings fast 5% weniger Volumen im Großhirn. Dass das Gehirn von ADHSlern ist eben ɐnders ist, bedeutet nicht, es ist weniger tauglich zum Denken!
Castellanos, F.X. u.a. (1996): “Quantitative Brain Magnetic Resonance Imaging in Attention-Deficit Hyperactivity Disorder“ in Archives of General Psychiatry, Vol. 53(7), Seite 607-616
Proal, E. u.a. (2011): “Brain Gray Matter Deficits at 33-Year Follow-up in Adults With Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder Established in Childhood” in Archives of General Psychiatry, Vol. 68 (11), Seite 1122-1134